Fall 1
Während Rüdiger nach gelungener Annäherung bereits an seinem Ball auf dem Grün steht und seine Puttlinie studiert, muss Hans noch aus einem tiefen Bunker die Fahne anspielen. Der Schlag gelingt. Der Ball kommt 1 m vom Loch entfernt zur Ruhe, was Hans aus dem tiefen Bunker aber nicht sehen kann. Weil der Ball dort das Spiel von Rüdiger behindern würde, markiert und hebt dieser wortlos den Ball von Hans auf. Jener bekommt davon nichts mit. Auf dem Grün angekommen puttet Hans ohne Zögern den dort liegenden Ball. Er traut seinen Ohren nicht, als Rüdiger nunmehr moniert, dass er einen falschen Ball gespielt habe und das 2 Strafschläge koste.
Hat Hans sich Strafschläge zugezogen? Kommt Rüdiger ungeschoren davon?
Antwort:
Lassen wir mal die Frage unbeantwortet, warum Rüdiger nicht sofort eingegriffen hat, als Hans sich anschickte, seinen Ball zu spielen. Unlautere Absichten wollen wir mal nicht unterstellen. Also, ohne Zweifel hat Hans einen „falschen Ball“ gespielt, siehe Definition im Regelbuch. Aber erscheint es gerecht, wenn er sich in der geschilderten Situation Strafe nach Regel 15-3 zugezogen hätte? Er hatte doch nicht mitbekommen, dass Rüdiger seinen Ball aufgenommen hatte.
Sicher, jeder Spieler trägt die Verantwortung dafür, dass er seinen eigenen Ball spielt, und er darf deshalb ja auch einen Ball identifizieren, ehe er ihn spielt. Hier bestand aber keinerlei Veranlassung für Zweifel, dass es sich um seinen eigenen Ball handelte, denn er hatte das Ergebnis seines Bunkerschlages nicht sehen können, und es ist ja auch nicht gängige Praxis, den Ball eines Mitspielers aufzuheben, wie es Rüdiger getan hat. Im Ergebnis bleibt Hans deshalb straffrei, weil er nicht wissen konnte oder hätte wissen können, einen falschen Ball zu spielen.
Wie sieht es mit Rüdiger aus? Nach Regel 20-1 darf ein aufzunehmender Ball vom Spieler, seinem Partner im Vierer oder von einer vom Spieler dazu ermächtigten anderen Person aufgenommen werden. Rüdiger war von Hans nicht zum Aufnehmen des Balls ermächtigt worden, er hatte die Regel also nicht beachtet. Regel 20-1 enthält dafür aber keine Strafandrohung. Vielmehr ist Regel 18 (Ball in Ruhe bewegt) heranzuziehen. Wenn die beiden sich in einem Zählspiel befinden, ist Regel 18-4 (Ball durch Mitbewerber bewegt) maßgebend. Danach fällt für Rüdiger keine Strafe an. Im Lochspiel hätte sich Rüdiger nach Regel 18-3b einen Strafschlag zugezogen. Zur Vollständigkeit: beide Bälle sind zurückzulegen.
Fall 2
Sylvia findet dort im Rough einen Ball, wo ihrer gelandet sein könnte. Der Ball ist halb eingebettet im Erdreich, und Sylvia kann nicht erkennen, ob es sich um ihren handelt. Sie dreht deshalb den Ball vorsichtig, wobei sie ihn aber in der Vertiefung lässt. Sylvia identifiziert den Ball anhand der Markierung als ihren eigenen und spielt dann weiter.
Nach Beendigung des Lochs fragt Mitbewerberin Jeanette sie, was sie im Rough gemacht habe. Sylvia schildert ihr Vorgehen. Jeanette hat zwar keinen Zweifel, dass Sylvia den Ball nicht besser gelegt hat. Dennoch erklärt sie, Sylvia müsse sich 2 Strafschläge zurechnen lassen. Sylvia ist sich nicht bewusst, etwas falsch gemacht zu haben. Hat sie einen Regelverstoß begangen?
Antwort:
Sylvia war berechtigt, den Ball zu identifizieren. Dazu hätte sie ihn aufnehmen und wenn nötig, sogar im zur Identifizierung erforderlichen Maß reinigen dürfen, Regel 12-2. Das vorsichtige Drehen des Balles (ohne die Lage zu verbessern) ist für sich genommen von der Regel gedeckt. Die Regel verlangt aber, dass der Spieler vorher seinem Gegner (im Lochspiel) oder seinem Zähler oder Mitbewerber (im Zählspiel) seine Absicht, den Ball identifizieren zu wollen, ankündigt und ihnen Gelegenheit gibt, den Vorgang zu beobachten. (Anmerkung: Die anderen müssen nicht, wenn sie nicht wollen, sich neben den Spieler stellen und das Identifizieren beobachten.)
Außerdem muss der Ball vor dem Aufnehmen oder – wie hier – vor dem Drehen markiert werden. Sylvia hat also so gut wie alles falsch gemacht. Dennoch kommt sie mit 1 Strafschlag davon, denn Regel 12-2 besagt, dass es auch dann bei einem Strafschlag bleibt, wenn mehr als ein Verstoß gegen das Identifizierungsverfahren vorliegt.